KFV: Blinde und gehörlose Menschen als Experten gegen Ablenkungsunfälle

Neue Wege im Kampf gegen Ablenkungsunfälle: Das KFV (Kuratorium für Verkehrssicherheit) hat Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen befragt, wie gefährlich es ist, mit eingeschränkten Sinnen auskommen zu müssen. Ihre wertvollen Tipps könnten nun auch für Smombies und Tagträumer im Straßenverkehr den Unterschied zwischen Unfall oder Unversehrtheit bedeuten.

Der Anteil jener Fußgänger, die sich mit Musik hören, telefonieren, Textnachrichten versenden und E-Mails lesen „Sinn-los“ abgelenkt auf den Straßen bewegen, steigt kontinuierlich – der ständige Begleiter Smartphone macht es möglich. Eine vom KFV durchgeführte Beobachtung von mehr als 2.500 Fußgängern zeigt, dass 29 Prozent beim Queren von Straßen erkennbar abgelenkt sind, meist durch das Handy aber auch durch „in Gedanken sein“. Die Folge: Im Jahr 2015 ereigneten sich auf Österreichs Straßen beinahe 1.700 Unfälle mit Fußgängern aufgrund von Ablenkung, für 28 Personen mit tödlichem Verlauf.

Wie gefährlich Ablenkung ist, hängt von den Faktoren Dauer, Häufigkeit und Intensität der Tätigkeit ab. „Vielen Fußgängern ist nicht bewusst, welches Risiko Unkonzentriertheit birgt. Sie gehen falsch in der Annahme, dass sie ohne Einschränkungen mehrere Tätigkeiten gleichzeitig ausführen können – Stichwort Multitasking. Das ‚2-Sinne-Prinzip‘ des konzentrierten Sehens und Hörens ist besonders im turbulenten Straßenverkehr wichtig“, betont Dr. Armin Kaltenegger vom KFV.

Gefahrenpunkt Kreuzung
„Für Verkehrsteilnehmer mit Seh- und Hörbeeinträchtigungen ist es nur schwer nachvollziehbar, wie andere Fußgänger freiwillig – etwa durch das Tippen von SMS Nachrichten oder Musikhören – einen oder mehrere ihrer Sinne ‚ausschalten‘“, schildert Dr. Markus Wolf, Präsident des Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ). Für ihn ist das Sehen bzw. das gute Hören von entscheidender Bedeutung für die tägliche Kommunikation und Orientierung. Gleichzeitig warnt er besonders, in keinem Fall beide Kardinalsinne gleichzeitig im Straßenverkehr auszuschalten. Menschen mit akustischen oder visuellen Einschränkungen müssen den fehlenden durch einen anderen Sinn kompensieren: Wer nicht hören kann, muss sehen oder fühlen und wer nicht sehen kann, muss hören oder fühlen. Hörbehinderte Menschen erfassen ihre Umgebung mit den Augen und haben einen erweiterten Blickwinkel antrainiert. Werden akustische Warnsignale wie Autohupe, Fahrradklingel oder laute Rufe nicht durch eine zusätzliche visuelle Alarmierung begleitet, besteht für sie eine Gefährdung, da sie über ein eingeschränktes oder kein „Richtungshören“ verfügen. Sehbehinderte Menschen wiederum sind auf ihr geschultes Gehör, auf das Fühlen von Vibrationen (bspw. herannahender LKW) sowie auf Blindenhilfsmittel wie dem Weißen Langstock (umgangssprachlich Blindenstock) angewiesen.

Stopp- und Aufmerksamkeitspunkte schaffen
„Insbesondere Straßenüberquerungen und Kreuzungen sind für Menschen mit Einschränkungen wie auch für alle anderen Fußgänger spezielle Gefahrenpunkte“, erläutert Kaltenegger. Ein Viertel aller Unfälle mit Fußgängerbeteiligung ereignet sich auf Schutzwegen.
„Gerade beim Überqueren einer Straße gilt: höchste Konzentration! Hier gilt ausnahmslos: Stoppen: Schauen und Hören: Gehen. Schaffen Sie sich Stopp- und Aufmerksamkeitspunkte, an welchen Sie bewusst von Ihrem Smartphone aufsehen oder das Telefon bzw. Kopfhörer weg vom Körper nehmen. Stopp- und Aufmerksamkeitspunkte können z.B. Bordsteinkanten oder das Ende von Hausmauern sein. Hier müssen Sie sich - ohne wenn und aber - auf das Verkehrsgeschehen, wie das Überqueren der Straße, konzentrieren“, erklärt Kaltenegger.
Besondere Gefahr droht allen sinnesbeeinträchtigten Menschen auch durch fast lautlose Verkehrsteilnehmer, wie Radfahrer und Elektroautos. „Wie in vielen Verkehrssituationen ist die gegenseitige Rücksichtnahme das A und O. Vergewissern Sie sich als Lenker auch einmal durch freundliche Handzeichen, ob der Fußgänger mit den riesigen Kopfhörern sie wirklich gesehen hat. Egal ob Tagträumer oder Smombie: Sicherheit geht vor!“

KFV Tipps & Tricks für SMS- und Social-Media-Checker, Vieltelefonierer, Beim-Gehen Esser, Musikhörer und Tagträumer:

Höchste Konzentration, vor allem beim Queren von Straßen bzw. Kreuzungen, auch auf Wegen, die man in und auswendig kennt.
Stopp- und Aufmerksamkeitspunkte schaffen: Die Gehsteigkante bewusst wahrnehmen und davor stehen bleiben.
Beim Überqueren der Straße gibt es keine Kompromisse: Hier gilt Stoppen – vom Handy aufsehen/Hörer weg vom Ohr/Kopfhörer runter nehmen – Schauen – Gehen.
Wenn möglich einen Zebrastreifen nutzen (Pflichtnutzung innerhalb von 25 Meter Entfernung!) und nicht zwischen den Autos durchschlängeln. Ist dies unvermeidbar, dann langsam und vorsichtig so weit vortreten, dass Sie gesehen werden.
Blickfeld vor dem Stehen bleiben und vor dem Losgehen bewusst auf das Umfeld nach vorne und unten erweitern; nach vorne auf die Richtung und Hindernisse; nach unten auf Kanten und taktile Bodenindikatoren, wie bspw. den Rillenlinien entlang von Bahnsteigkanten oder den taktil markierten Einstiegsstellen an Haltestellen.
Bewusst auf Geräusche achten. Das akustische Auffindesignal von Ampel-Leitsystemen (hörbares Klacken) kann ein Warnhinweis dafür sein, nun erhöht aufmerksam zu sein.
Queren sie Straßen und Kreuzungen nicht diagonal, da es so schwieriger ist den Verkehr aus allen Richtungen im Blick zu haben.
Bleiben sie beim SMS-Tippen oder E-Mail-lesen stehen oder gehen sie an der Hausseite des Gehsteiges. Stopp- und Aufmerksamkeitspunkte immer beachten.
Auch am Gehsteig gilt es visuell und akustisch möglichst aufmerksam zu sein, insbesondere da Kinder und Jugendliche oft mit Rollern, Skateboards und dergleichen unterwegs sind.
Blickkontakt zum Fahrer eines nahenden Verkehrsmittels aufbauen und nicht auf das Vorrecht auf dem Schutzweg verlassen. Auch die Fahrer könnten abgelenkt sein. Geben Sie auch einmal freundliche Handzeichen.
Auf Blitzaktionen verzichten: Geduld ist nicht nur eine Tugend, sondern gelebter Selbstschutz im Straßenverkehr, vor allem wenn man gleichzeitig telefoniert, isst oder E-Mails checkt.
Helle und mit lichtreflektierenden Materialien ausgestattete Kleidung und Accessoires (Schultaschen und dgl.) erhöhen die Sichtbarkeit von Kindern und Erwachsenen, insbesondere in der Dämmerung, in der Dunkelheit und bei schlechter Sicht(bspw. Nebel, ungenügend ausgeleuchtete Wege). Mögliche Fehler eines Verkehrsteilnehmers können von anderen durch ein schnelles gesehen werden vielleicht noch ausgeglichen werden.


Link-Tipp: Unter www.abgelenkt.at haben Interessierte die Möglichkeit, die Folgen und Risiken von Ablenkung im Straßenverkehr virtuell anhand von Filmen zu erleben.

Weitere Meldungen