Weitreichende Verschlechterungen für Arbeitnehmer/-innen durch das neue Arbeitszeitgesetz

AK-Präsident Dr. Johann Kalliauer - Foto Arbeiterkammer OÖ
AK-Präsident Dr. Johann Kalliauer - Foto Arbeiterkammer OÖ

Die Arbeitszeitpläne der Regierung sehen zahlreiche verdeckte und noch kaum diskutierte Verschlechterungen für Arbeitnehmer/-innen vor, die dramatische Folgen haben würden. „Wir fordern daher die Regierung auf, den verpfuschten Entwurf zurückzuziehen und ein neues faires Arbeitszeitgesetz mit den Sozialpartnern auszuhandeln, in dem auch die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigt werden“, sagt AK-Präsident Dr. Johann Kalliauer.

Derzeit sind nur leitende Angestellte vom Arbeitszeitgesetz (AZG) und vom Arbeitsruhegesetz (ARG) ausgenommen. Zukünftig soll der Schutz durch diese Gesetze auch für sonstige Arbeitnehmer/-innen, denen eine „maßgebliche selbstständige Entscheidungsbefugnis übertragen“ ist, beseitigt werden, wenn sie „Lage und Dauer der Arbeitszeit selbst festlegen“ können. Diese schwammige Formulierung kann bis zu 20 Prozent der Beschäftigten treffen, z.B. Teamleiter/-innen mit Gleitzeit, aber auch Außendienst- und Projektmitarbeiter/-innen!

Ein Beispiel: Ein Außendienstmitarbeiter kann bei freier Zeiteinteilung Preise und Konditionen mit seinen Kunden selbst vereinbaren. Derzeit darf er bis zu zehn Stunden täglich und 50 Stunden wöchentlich arbeiten. Er hat Anspruch auf täglich elf Stunden Ruhezeit sowie eine Wochenruhe von mindestens 36 Stunden. Zudem hat er einen Anspruch auf Überstundenzuschläge. Zukünftig ist zu erwarten, dass für ihn die höchstzulässigen Arbeitszeiten, Mindestruhezeiten und der Anspruch auf Ersatzruhezeiten wegfallen. Überstundenzuschläge bekommt er nur dann, wenn das ausdrücklich vertraglich vereinbart wird.

Derzeit gilt bei Gleitzeit eine höchstzulässige tägliche Normalarbeitszeit von zehn Stunden. Wenn dies zukünftig bis zu zwölf Stunden fünfmal pro Woche betragen kann, werden Überstundenzuschläge bei Gleitzeit weitgehend wegfallen. Auch die Behauptung, dass bestehende Gleitzeitvereinbarungen gültig bleiben, ist wertlos. Da die Gleitzeit „neu“ Tagesarbeitszeiten bis zu zwölf Stunden und Wochenarbeitszeiten bis zu 60 Stunden ermöglicht – und das ohne Zuschläge – , werden Arbeitgeber Druck auf Betriebsräte und Arbeitnehmer/-innen ausüben, bestehende Gleitzeitvereinbarungen zu ändern, oder sie werden diese aufkündigen und den Abschluss neuer Gleitzeitvereinbarungen verlangen.

Ein Beispiel: Die Gleitzeitvereinbarung in einem Betrieb sieht eine mögliche Normalarbeitszeit von zehn Stunden täglich und 50 Stunden wöchentlich vor und reizt damit die gesetzlichen Höchstgrenzen aus. Ein Projektleiter, für den diese Vereinbarung gilt, hat – wenn er noch länger arbeitet – Anspruch auf Überstundenentlohnung, was gesetzlich aber nur sehr eingeschränkt erlaubt ist. Zukünftig erhält er auch für die elfte und zwölfte Arbeitsstunde bzw. für Arbeitszeit bis zur 60. Wochenstunde keine Überstundenzuschläge.

Bereits jetzt ist unter besonderen Voraussetzungen die Ausdehnung der täglichen Arbeitszeit auf zwölf und der wöchentlichen Arbeitszeit auf bis zu 60 Stunden möglich. Allerdings ist dafür eine Betriebsvereinbarung und somit die Zustimmung des Betriebsrates zwingend vorgesehen. Und diese Sonderüberstunden sind nur bis zu 24 Wochen pro Jahr zulässig! Durch die geplante Neuregelung werden die Mitsprache der Belegschaftsvertretungen völlig ausgeschaltet und die Schutzschranke von 24 Wochen pro Jahr ersatzlos gestrichen. Das einzige Erfordernis ist die Behauptung eines nicht näher definierten „erhöhten Arbeitsbedarfes“.

Bis zur zehnten Stunde pro Tag bzw. 50. Stunde pro Woche ist gar keine Ablehnungsmöglichkeit von Überstunden mehr vorgesehen. Und darüber hinaus dürfen sie Arbeitnehmer/-innen nur aus „überwiegenden persönlichen Interessen“ ablehnen und müssen dabei ihr Privatleben offenlegen. Was ein überwiegendes persönliches Interesse ist, bleibt völlig unklar. Dass z.B. ein Meisterschaftsspiel des Sportvereins, in dem der Arbeitnehmer aktiv ist, oder eine vereinbarte Familienfeier ausreichen, darf bezweifelt werden.

Weigern sich Arbeitnehmer/-innen, kurzfristig zwölf Stunden lang durchzuarbeiten und werden deshalb entlassen, müssen sie bei einer Anfechtung vor Gericht beweisen, dass ihre persönlichen Interessen schwerer wogen als die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers. Der Ausgang eines solchen Verfahrens ist höchst ungewiss, weil die Regierung nicht definiert hat, was „berücksichtigungswürdige Interessen“ sind. Kaum jemand wird daher wagen, sich auf ein solches Verfahren einzulassen. Die meisten werden dem Druck des Unternehmens nachgeben (müssen), und notgedrungen länger arbeiten.

Schon jetzt zeigen die Statistiken, dass ein Fünftel aller geleisteten Überstunden von den Arbeitgebern/-innen nicht abgegolten werden. Besonders stark betroffen sind Arbeitnehmer/-innen mit All-in-Verträgen oder Überstundenpauschalen. Alle Arbeitsrechtsexperten/-innen gehen davon aus, dass das neue Arbeitszeitgesetz zu einem enormen Anstieg solcher Pauschalabgeltungen und damit zu noch mehr unbezahlten Mehr- und Überstunden führen wird.

Derzeit ist eine Verkürzung der täglichen Ruhezeit für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer/-innen in der Gastronomie auf mindestens acht Stunden nur durch Kollektivvertrag möglich. Zukünftig kann das auch ohne Kollektivvertrag und selbst für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer/-innen vereinbart werden. Die Mitbestimmung und Kontrolle durch Arbeitnehmervertreter/-innen werden ausgeschaltet.

Ein Beispiel: Ein Zimmermädchen ist 30 Stunden pro Woche in einem Hotel beschäftigt. Ihr Dienst endet um 20 Uhr. Am nächsten Tag beginnt ihr Dienst um 7 Uhr. Für die Hin- und Rückfahrt zum Arbeitsplatz braucht sie je eine Stunde. Derzeit hat sie Anspruch auf elf Stunden Ruhezeit. Künftig könnte das Zimmermädchen bei entsprechender Vereinbarung bis 22 Uhr arbeiten und bereits um 6 Uhr ihren Dienst wieder antreten. Durch die Wegzeiten bleiben nur sechs Stunden Ruhezeit. Ein gesundheitsgefährdendes Schlafdefizit wäre die Folge.

Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe sind aktuell nur in gesetzlich geregelten Fällen bzw. per Verordnung, Kollektivvertrag oder Bescheid erlaubt. Zukünftig werden sie an vier Wochenenden oder Feiertagen pro Jahr „bei vorübergehend auftretendem besonderem Arbeitsbedarf“ in jedem Unternehmen auch durch Betriebsvereinbarung bzw. in Betrieben ohne Betriebsrat per Einzelvereinbarung möglich. Der Druck auf die Arbeitnehmer/-innen, den Wünschen der Arbeitgeber nachzugeben, wird auf die betriebliche Ebene verlagert und damit drastisch erhöht. Der ohnehin gefährdete freie Sonntag wird zusätzlich aufgeweicht.

Ein Beispiel: Ein Monteur arbeitet normalerweise von Montag bis Freitag. Am Freitag erhält der Firmenchef einen kurzfristigen Auftrag. Er will daher, dass der Monteur am Wochenende arbeitet. Nach derzeitiger Gesetzeslage müsste der Monteur nicht am Wochenende arbeiten. Zukünftig würde der kurzfristige Auftrag als „vorübergehend auftretender besonderer Arbeitsbedarf“ qualifiziert. Der Monteur könnte sogar an drei Wochenenden hintereinander zu Arbeit verpflichtet werden, wenn eine entsprechende Betriebsvereinbarung getroffen wird bzw. das mehr oder weniger freiwillig per Einzelvertrag tun.

„Diese Fülle an Verschlechterungen ist ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer, den wir uns sicher nicht gefallen lassen. Die Arbeiterkammer unterstützt daher alle Proteste und Aktionen, die darauf abzielen, dieses Gesetz zu verhindern“, sagt der AK-Präsident.

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