Bohren in der Geschichte Hallstatts

Wissenschaftliche Seekernbohrungen am Grund des Hallstätter Sees geben Auskunft über die Umweltbedingungen der letzten Jahrtausende






Es blieb von der Hallstätter Bevölkerung und den Gästen nicht unbeobachtet, dass am Hallstättersee Bohrungen durchgeführt werden.
Anfragen am Gemeindeamt, ob nach Gas oder Öl gebohrt wird, können mit einem klaren Nein beantwortet werden. Es handelt sich um ein wissenschaftliches Projekt.


Ein internationales Forscherteam wird vom 7. bis 11. Mai 2011 Seekernbohrungen im Hallstätter See durchführen. Die Forscherinnen und Forscher hoffen auf umfassende Erkenntnisse über prähistorische Klima- und Umweltverhältnisse aus den erbohrten Seesedimenten.

Der Hallstätter See ist nicht zufällig gewählt. 400 m oberhalb liegt das älteste Salzbergwerk der Welt. Getragen wird das Projekt durch das Naturhistorische Museum Wien, das Deutsche Geoforschungszentrum Potsdam, die Österreichische Akademie der Wissenschaften, die Universität für Bodenkultur Wien und die Freunde des Naturhistorischen Museums Wien.


Ziel der Forscherinnen und Forscher ist es, ein genaues Bild der Umweltbedingungen in der Vergangenheit zu gewinnen und die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt über einen langen Zeitraum zu studieren. Dabei interessiert ein Abschnitt besonders, die Spanne zwischen 2000 v. Chr. und der Zeitenwende. In dieser Zeit erfährt das Salzkammergut durch den prähistorischen Salzbergbau in Hallstatt einen echten Wirtschaftsboom. Es ist aber auch die Zeit bedeutender Klimaschwankungen. Wesentlich für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter ist die Frage, welchen Einfluss die daraus folgenden Umweltveränderungen auf die Menschen und ihr Wirtschaftssystem in dieser alpinen Region hatten.


Unter guten Erhaltungsbedingungen liefern Seesedimente wichtige Informationen über Temperaturentwicklung, Niederschlagsmengen, Hochwasserereignisse, aber auch über die Pflanzenwelt rund um den See sowie Bergstürze und Murenabgänge. Seen sind erstklassige Sedimentfallen. Pflanzenreste, Blütenstaub, Insekten und Mikroorganismen, Gesteine und viele andere Materialien werden über Luft und Wasser in Seen eingetragen. Ein Teil davon lagert sich in Schichten Jahr für Jahr am Seegrund ab. So entsteht im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende ein wertvolles Archiv, das detailliert Umwelt- und Klimaverhältnisse speichert, bis hin zu den Eingriffen des Menschen in seine Umwelt. Ähnliches gilt für Moore, auch sie sind wertvolle und schützenswerte Archive.


Die Bohrungen werden durch die Österreichischen Bundesforste, in deren Besitz sich der See befindet, und die Gemeinde Hallstatt unterstützt. Die geplanten Bohrstellen liegen in der Mitte des Sees in einer Wassertiefe von rund 100 m. Daher kommt eine schwimmende Bohrplattform zum Einsatz. Die Plattform und das Bohrsystem wurden von der oberösterreichischen Firma UWITEC entwickelt und umgesetzt. Ein Plexiglasrohr von 9 cm Durchmesser wird mit Hilfe von Gewichten in den Seeboden gedrückt, nach Erreichen der gewünschten Tiefe wird das Rohr mit den Bodenproben über eine Seilwinde wieder an die Oberfläche gezogen. Die Sedimentproben müssen nun bis zum Einlangen im Labor kühl gelagert werden. Erst dort werden die Rohre geöffnet und die Sedimentproben verschiedensten Analyseverfahren unterzogen. So wird etwa die Größe der im Seesediment enthaltenen Gesteins- und Mineralkörner ausgewertet. Die Verteilung der Korngrößen gibt wichtige Aufschlüsse über Transportprozesse, d.h. wie sind diese Materialien in den See gelangt, über die Luft, mit einem Fluss, durch einen Bergsturz oder eine Mure. Geochemische Untersuchungen liefern Informationen über die geographische Herkunft der Gesteine, aber auch über Nähr- und Sauerstoffgehalt des Seewassers. In den Sedimenten erhaltene Pflanzenreste, wie etwa Pollen, geben Auskunft über die Zusammensetzung der Vegetation rund um den See, aus der wiederum die Entwicklung der Lufttemperatur errechnet wird.


Die Seekernbohrungen sind ein wichtiger Teil der Erforschung der jahrtausendealten Wirtschafts¬landschaft rund um die Hallstätter Salzbergwerke. 400 m über dem See liegt eine der wichtigsten archäologischen Fundlandschaften Europas. Bereits vor über 3500 Jahren bauten Bergleute am Hallstätter Salzberg Steinsalz in nahezu industriellem Ausmaß ab. In riesigen Hallen wurde Salz gebrochen und weithin verhandelt. Seit über 50 Jahren forscht das Naturhistorische Museum Wien mit der Unterstützung der Salinen Austria AG an diesem einzigartigen Platz. Denn der archäologischen Wissenschaft eröffnen sich hier ganz besondere Möglichkeiten. Von der Lebenswelt vergangener Epochen bleiben der Archäologie im Normalfall Objekte aus unvergänglichen Materialien wie Stein, Keramik, Knochen und Geweih. Organisches verrottet in wenigen Jahren. Vollkommen anders im Hallstätter Salzberg, dank der konservierenden Wirkung des Salzes hat sich hier all das perfekt erhalten, was die Bergleute vor Jahrtausenden zurückließen: Werkzeug, Speisereste, menschliche Exkremente, Kleidung, abertausend niedergebrannte Leuchtspäne. Nur mit einer Vielzahl an wissenschaftlichen Disziplinen ist die wissenschaftliche Auswertung möglich. Anthropologie, Archäologie, Botanik, Holzforschung, Geowissenschaften und viele andere Disziplinen ziehen hier gemeinsam an einem Strang. Die Salzwelten Hallstatt bieten in Kooperation mit dem NHM Wien verschiedenen Programme und regelmäßige Sonderführungen rund um das spannende Thema Archäologie an. Infos und Termine zu den „Hallstatt7000-Programmen auf www.salzwelten.at.


Doch nicht allein die Bergwerke, sondern auch die umgebende Landschaft stehen im Fokus der Forschung. Die Geschichte dieser Landschaft soll systematisch erforscht, dokumentiert und bewahrt werden. So untersucht aktuell das Hall-Impact-Projekt die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt und den Wandel dieser Beziehungen. Das Projekt wird von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften finanziert.

Projektbeteiligte:
Alexander Scheutz, Bürgermeister von Hallstatt - Mag. Kerstin Kowarik, Naturhistorisches Museum Wien, Prähistorische Abteilung 5 ---Mag. Hans Reschreiter, Naturhistorisches Museum Wien, Prähistorische Abteilung 3 ---Dr. Achim Brauer, Deutsches Geoforschungszentrum, Helmholtz-Zentrum, Potsdam --- Dr. Michael Grabner, Universitat für Bodenkultur Wien --- Kurt Thomanek, Salzwelten, Geschäftsleitung

Projektpartner:
Naturhistorisches Museum Wien, Prähistorische Abteilung
Kerstin Kowarik, Archäologie, Umweltarchäologie, Mensch-Umwelt, Projektleitung Hall-Impact (ÖAW), prähistorischer Salzbergbau

Naturhistorisches Museum Wien, Prähistorische Abteilung
Hans Reschreiter, Archäologie, prähistorischer Salzbergbau, Ausgrabungsleitung Salzbergwerk Hallstatt

Deutsches Geoforschungszentrum, Helmholtz-Zentrum Potsdam
Dr. Achim Brauer, Seekernbohrung, Klimadynamik und Landschaftsentwicklung


Universität für Bodenkultur, Institut für Holzforschung
Dr. Michael Grabner, Dendrochronologie, Holzforschung

UWITEC, Bohrfirma
Richard Niederreiter




Alle Fotos©Franz Frühauf



Terminaviso:
Archäologie am Berg am 18. und 19. August 2012 Außenstelle des NHM, „Alte Schmiede, im Hochtal von Hallstatt

Geschichte einer Landschaft.
In keinem anderen Tal finden sich die Spuren von 7000 Jahren Industrie- und Salzgeschichte auf so engem Raum. Die Erforschung dieser einmaligen Landschaft und 10 Jahre Archäologisches Zentrum im Hochtal stellen dieses Jahr die Schwerpunkte der Archäologie am Berg dar.
Die Veranstaltung zum Mitmachen, Ausprobieren und Forschen wendet sich an Familien und Interessierte aller Altersklassen. Gezeigt wird, wie Archäologen und Holzforscher gemeinsam den prähistorischen Bergbau erforschen und Einblick in das Leben der Hallstätter Bergleute vor über 3000 Jahren erhalten. Sehen, hören, schmecken, riechen, staunen und erleben Sie ein spannendes Wochenende mit den Forschern des Naturhistorischen Museums und der Universität für Bodenkultur am Hallstätter Salzberg.
Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenlos. Zu bezahlen ist nur die Auffahrt mit der Salzbergbahn. Infos und Tarife unter www.salzwelten.at

Über das Naturhistorische Museum Wien
Eröffnet 1889 ist das NHM mit etwa 30 Millionen Sammlungsobjekten und mehr als 550.000 Besucherinnen und Besucher im Jahr 2011 eines der bedeutendsten naturwissenschaftlichen Museen der Welt. Seine frühesten Sammlungen sind über 250 Jahre alt, berühmte und einzigartige Exponate, etwa die 25.000 Jahre alte Venus von Willendorf, die vor über 200 Jahren ausgestorbene Stellersche Seekuh, riesige Saurierskelette sowie die weltweit größte und älteste Meteoritenschausammlung zählen zu den Höhepunkten eines Rundganges und machen die Faszination Natur in 39 weiträumigen Schausälen erlebbar.
In den Forschungsabteilungen des NHM betreiben etwa 60 Wissenschafter aktuelle Grundlagenforschung in den verschiedensten Gebieten der Erd-, Bio- und Humanwissenschaften. Damit ist das Museum wichtiges Kompetenzzentrum für öffentliche Fragen und eine der größten außeruniversitären Forschungsinstitutionen Österreichs. Das neue Imagevideo des NHM finden Sie hier: www.youtube.com/watch?v=Fwxf6LejQ2Y Weitere Infos unter: www.nhm-wien.ac.at

Rückfragehinweis: Irina Kubadinow
Leiterin Kommunikation & Medien
Naturhistorisches Museum
Tel.: 01 /521 77 410
Mobil: +43 664 415 28 55





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