Ursula Plassnik und Markus Hengstschläger im DIALOG: Zeitenwende - Welt im Umbruch

Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger, Außenministerin a.D. Dr. Ursula Plassnik und LH-Stv. Mag. Christine Haberlander -- Fotos © Academia Superior/antonio bayer
Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger, Außenministerin a.D. Dr. Ursula Plassnik und LH-Stv. Mag. Christine Haberlander -- Fotos © Academia Superior/antonio bayer

Zum 20. DIALOG der Academia Superior begrüßte Obfrau LH-Stv. Mag. Christine Haberlander gestern Abend Dr. Ursula Plassnik in Linz. In dem Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger sprach die Juristin, ehemaligen Außenministerin und Diplomatin über weltpolitische Umbrüche, Herausforderungen und Zukunftsthemen.


„Wir erleben Umbrüche in vielen Bereichen“, führte Christine Haberlander eingangs in das Kernthema des Abends ein, „und wir haben den Anspruch, diese Zeitenwende eingehend zu diskutieren, um die Geschehnisse um uns und in der Welt besser zu verstehen“. Mit Ursula Plassnik konnte eine Insiderin gewonnen werden, die zur Bewertung und Einordnung dieser großen und komplexen Fragestellungen nicht nur wertvolle Einblicke, sondern eine klare Haltung mitbringt.


„Wir wissen, was wir daran haben, dass wir Europäer sein dürfen“

Die ehemalige Vorsitzende des EU-Rats der Außenminister sieht den europäischen Gedanken speziell in einem wirtschaftsstarken Land wie Oberösterreich fest verankert. Das komplexe Konstrukt der Europäischen Union ist einerseits ein stetiger Lernprozess, andererseits zeigen etwa die überaus rasch verhängten und schlagkräftig Sanktionen gegen Russland, wie stark der Gedanke der Gemeinschaft entwickelt ist. Hier kann auch ein kleines Land wie Österreich Großes beitragen, ist die überzeugte Europäerin sicher: „Die EU ist ein permanenter Wettkampf um die besten Lösungen. Wir sollten uns zutrauen, dabei auch an der Spitze zu sein“.


„Man darf Neutralität nicht als Zaubertrank verstehen, der einen unverwundbar macht“

Was die österreichische Sicherheitspolitik angeht, nimmt Plassnik die Medien in die Verantwortung, wo die Diskussion gerne auf „die zwei N“ reduziert wird: NATO oder Neutralität. Dabei gibt es auch dazwischen ein großes Spektrum. „Ein vernünftiger faktenbasierter sicherheitspolitischer Diskurs ist den Österreichern zumutbar“, ist Plassnik überzeugt, denn „wir können nicht erwarten, dass uns die anderen zum Null-Tarif schützen. Wir müssen uns fragen, was unser relevanter Beitrag sein kann“.


„Wir müssen ein Inventar unserer Abhängigkeiten erstellen“

Dass die EU vor großen Herausforderungen steht, ist in Anbetracht der aktuellen Polykrise allen bewusst: Klima, Krieg, Pandemie, Inflation. Umso wichtiger ist es, dass Europäer auf eigenen Füßen stehen. Die Pandemie und der Angriff Russlands auf die Ukraine haben Europa zahlreiche Abhängigkeiten schmerzhaft aufgezeigt. Plassnik ist überzeugt, dass Europa gut daran täte, im Hinblick auf Lieferketten und militärische Abhängigkeiten strategische Autonomie und mehr Selbständigkeit sicher zu stellen. Jahrzehntelange Bemühungen um eine gemeinsame Sicherheitspolitik mit Russland sieht Ursula Plassnik zerstört: „Sicherheitspolitik in Europa wird jetzt gegen Russland und nicht mit Russland funktionieren“.


Was die weltpolitische Ordnung angeht, so hängt die Zukunft entscheidend davon ab, in welches Narrativ sich der globale Süden einordnen wird: „Unser europäisches Lebensmodell steht gerade stark im Standortwettbewerb. Es basiert auf wirtschaftlichem Erfolg, sozialer Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, Freiheit, Wahlfreiheit“.


„Diplomatie kommt bei Gewalt an ihre Grenzen.“

Der Krieg in der Ukraine ist Ursula Plassniks größtes Überraschungsmoment im negativen Sinne, „weil er allem widerspricht, wofür ich in 42 Berufsjahren gearbeitet habe“. Der Überfall auf die Ukraine zeigt deutlich die Grenzen der Diplomatie auf: „Man kann den Gewalttäter nicht durch Beschwichtigungen von seinen Handlungen abbringen“. Dabei zieht Plassnik einen anschaulichen Vergleich: „Wenn Sie jetzt jemand überfällt und nach Ihrem Leben trachtet, und ich als dritte Person dazukomme, würde ich auch nicht sagen: nimm einen Fuß oder ein Bein und dann lass gut sein“. Plassnik warnt vor einem naiven Wunschdenken: „Der Krieg wird so lange gehen, wie Putin ihn führen will. Man braucht Verhandlungswillen auf beiden Seiten“.


„Man kann ein Land – eine Gesellschaft – nur aus der Mitte heraus führen.“

Der Rechtsruck ist für die Juristin kein rein europäisches Thema, sie sieht in vielen Ländern den Trend zur Polarisierung, weil die Mitte eingebrochen ist. Auch wenn das vielleicht verlockend erscheint, lässt sich ein Land nicht von den Rändern her steuern: „Wir brauchen ein Bekenntnis zur Mitte“, ist die Expertin überzeugt. Für Plassnik gehört die Demokratie zur kritischen Infrastruktur, für die wir uns besonders einsetzen müssen.


„Was fehlt, sind Respekt und Ernsthaftigkeit“

Auch Plassnik beobachtet, wie ein rauerer Ton in Österreich Einzug hält. Dass sich die Menschen zunehmend in „Silos“ mit dicken, starken Wänden zurückziehen, verstärkt die Dynamik: Die Menschen können mit anderen Meinungen immer weniger umgehen und werden schnell ausfällig, brutal und persönlich. Ursula Plassnik identifiziert zwei Haltungen, wie man den Tendenzen zur Spaltung der Gesellschaft entgegenwirkt: Respekt und Ernsthaftigkeit.


Sie ist überzeugt, dass man sich um Respekt redlich bemühen muss und dass wir von Scheindebatten weg zu einem echten Wettbewerb der Ideen, der Inhalte und der Lösungsvorschläge kommen müssen. „Wir müssen zurückfinden zu einem Ton der Ernsthaftigkeit und des Respekts im Umgang miteinander, sonst werden wir das Gemeinsame kaputtmachen und unseren Sinn für Gemeinwohl verlieren“, sieht Plassnik alle in der Verantwortung. Auch in Sachen Frauenförderung findet Plassnik klare Worte: „Es ist unfassbar, wie Frauen in manchen Teilen der Welt behandelt werden. Und es ist dumm.“ Denn auf die Hälfte der Ideen und Talente zu verzichten, soll und kann sich niemand leisten.

„Man muss sich als Region in die großen Themen der Zukunft hineinkatapultieren“, greift Christine Haberlander zum Abschluss ein Statement von Ursula Plassnik auf und unterstreicht damit die Aufgabe und Zielsetzung der ACADEMIA SUPERIOR.

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